Syberia Remastered im Test – Von Mammuts, Mechanik und ganz viel Menschlichkeit

von Dennis
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Syberia ist zurück! Im schmucken Redesign erlebt ihr zwar weiterhin den Auftakt der ikonischen Adventure-Reihe um Kate Walker, menschelnde Automaten und Mammuts, dürft euch aber genauso über etliche Verbesserungen und einen völlig neuen Look freuen. Doch wie steht es um die eigene Identität und das Erbe von Schöpfer Benoît Sokal? Unser Test zu Syberia Remastered auf der Playstation 5.

Syberia Remastered 1 Syberia Remastered im Test - Von Mammuts, Mechanik und ganz viel Menschlichkeit

Anwältin auf Abwegen

Was für ein Schlamassel! Eigentlich wollte Kate Walker nur eben den Verkauf einer Familienbetriebenen Spielzeugfirma im verschlafenen Bergdorf Valadilène überwachen, doch statt einer rechtlich reibungslosen Transaktion, erwartet die junge Anwältin aus Übersee ein verzwicktes Mysterium. Plötzlich verstorben und nicht länger Besitzerin des Betriebs, macht Anna Voralberg ihren totgeglaubten Bruder Hans zum alleinigen Erben und bestätigt damit seine Existenz. Scheinbar weiterhin unter den Lebenden weilend, doch seit seiner Jugend als vermisst geltend, muss Kate den einzigen Nachfahren so schnell wie möglich ausfindig machen, um die Übernahme abschließen zu können. Doch damit längst nicht genug, denn was hat es eigentlich mit den überall umherwankenden, erstaunlich menschlich wirkenden Robotern…Pardon, Automaten auf sich? Und, existieren Mammuts tatsächlich?

Schnell lässt Syberia Remastered einen spannungsgeladenen Strudel aus düsteren Familiengeheimnissen und dem genialen Erfindergeist einer gesamten Dynastie entstehen, in dessen brodelnder Mitte sich Protagonistin Kate auf einer fantastischen Schnitzeljagd-Odyssee durch ganz Sibirien und letztendlich auch zu sich selbst findet. Die Suche nach Hans entpuppt sich bald als emotionaler Selbstfindungstrip vor dem Hintergrund meist malerischer Kulissen, der die komplexen Fragen des Lebens poetisch verschnörkelt, um sie mir im Dialog mit human anmutenden Maschinen direkt ins Gesicht zu spucken. Was Gleichheit und Gerechtigkeit wirklich bedeuten, meine eigene Sinnhaftigkeit sowieso, darüber mache ich mir während vereinzelter Spielpausen überraschend oft Gedanken und muss mir gleichzeitig eingestehen, einen derart mächtigen Impact von einem über 20 Jahre alten Spiel schlicht nicht erwartet zu haben.

…aber ich fand’s richtig lustig und habe mir, seltsam wie ich nunmal bin, den Controller regelmäßig ans Ohr gehalten…

Schließlich ist Syberia Remastered die jüngste und bislang wohl aufwendigste Neugestaltung eines waschechten Adventure-Klassikers von 2002. Im Hinblick auf nun dreidimensionale Umgebungen, von Grund auf neu entworfene Charaktermodelle und zahlreiche Verbesserungen im Gameplay, wirkt der Beiname allerdings wie eine echte Untertreibung. Remake träfe es doch deutlich besser, denn die verantwortlichen Entwicklerstudios um Microids und Studio Virtuallyz haben hier dermaßen viel Aufwand und Liebe zum Detail betrieben, dass ich sowohl Fans als auch NeueinsteigerInnen unbedingt auf eine Reise nach Syberia einladen möchte.

Apropos Fans, die müssen sich vor allzu drastischen Veränderungen nämlich nicht fürchten. Trotz Frischzellenkur und Nachbesserungen, bleibt Syberia Remastered im Kern dasselbe Spiel. Zwar erreichen die Schauplätze nun ein wesentlich lebendigeres Niveau und das Durchstreifen vernebelter Straßenzüge, beklemmender Industriegebäude oder geschäftiger Universitäten fühlt sich hier wahnsinnig atmosphärisch an, doch Story und Charaktere wirken viel mehr wie ein erneutes Verneigen vor dem damals verantwortlichen, leider bereits verstorbenen Kult-Autor und Comiczeichner Benoît Sokal, während die Optik ihren stilistischen Schlüssel einmal mehr in der faszinierenden Clockpunk-Ästhetik findet und damit eine Welt kreiert, die nicht bloß audiovisuelle Anreize schafft, sondern diese auch für ausgeklügelte Rätsel im Spieldesign nutzt.

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Klassisch mit modernem Kniff

Für sein Gameplay bedient sich Syberia Remastered nämlich weiterhin an klassischen Adventure-Elementen. Da wollen knifflige Zahlenkombinationen erknobelt, Items an der richtigen Stelle eingesetzt und komplexe Mechanismen in Gang gebracht werden. Auch ein sorgfältiges Erkunden der Umgebung sowie das Führen charmant vertonter Dialoge stehen regelmäßig an der Tagesordnung. Unterm Strich empfand ich die Struktur der zahlreichen Rätsel während meiner Testzeit als überaus nachvollziehbar und nie zu komplex. Bis auf wenige Ausnahmen – ja, ich bin tatsächlich eine gute Stunde herumgeirrt, um nach einem Stift für eine Zeichnung zu suchen, nur um irgendwann zu checken, dass ich den gar nicht brauche – bin ich selten länger als nötig in einer Knobelei versackt. Zumal ich diesen Ausrutscher eher dem Genre, als speziell dem Titel anlaste.

Dass sich das alles so verdammt gut wegspielt, liegt wohl ebenfalls an der gelungenen Neugestaltung etlicher Ingame-Elemente. Während einige Puzzles für das Remaster komplett neu entworfen wurden, freuen sich UI-Design, Controller-Layout und so manch kleines Detail zumindest über eine sinnvolle Frischzellenkur. Zwar fehlt mir hier der direkte Vergleich zum Original, gleichzeitig aber nie das Gefühl, mit Syberia Remastered einen Titel in den Händen zu halten, der genau so in die moderne Spielelandschaft gehört. Navigation und das Benutzen von Items gehen unglaublich gut von der Hand und beim Absuchen der Umgebung nach interaktiven Objekten unterstützt mich nun eine visuelle Hilfe, die ich dankbar annehme und währenddessen komfortabel in meinem Inventar wühle. Habe ich einmal den Faden verloren, genügt ein kurzer Blick ins Journal, um mich wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Aber klar, in seltenen Fällen bin ich auch ein wenig genervt. Beispielsweise dann, wenn ich für eines der immer noch toll erdachten Rätsel von A nach B und irgendwann von D zurück nach A laufe und sich Protagonistin Kate, trotz optionalem Sprint, dabei so schnell bewegt wie eine Schnecke im Weltall.

…der die komplexen Fragen des Lebens poetisch verschnörkelt, um sie mir im Dialog mit human anmutenden Maschinen direkt ins Gesicht zu spucken.

Zugegeben, im Prinzip ist das exakt der Punkt, an dem wir uns fragen müssen, für wen Syberia Remastered eigentlich geeignet ist. Denn trotz sorgfältiger Portierung in die Moderne und einer dreidimensionalen sowie organisch wirkenden Spielwelt, richtet sich das Adventure nach wie vor an SpielerInnen mit entspanntem Gemüt. Für viele der Denksportaufgaben müsst ihr ordentlich Zeit investieren, handschriftliche Notizen schaden nie und wer die optional lesbaren Schriften und Bücher einfach überspringt, verpasst viel vom angedachten Charme einer immersiven Spielwelt, die sich mit stark geschriebenen Charakteren und faszinierendem Worldbuilding eher unaufgeregt, aber nicht minder spannend und sogar poetisch, zeitlosen Fragen über die eigene Bedeutung und den unaufhaltsamen Wandel nähert, um sich innerhalb einer gut zehnstündigen Spielzeit in einem überraschend menschlichen Narrativ voll kleiner Twists und Höhepunkte zu entladen.

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Bei Anruf Dualsense

Der gemütliche Sonntag ist passend zur Jahreszeit endlich wieder ein Begriff und war in den letzten Wochen persönliches Motiv genug, um mich mit heißem Kakao und Kuschelsocken ausgerüstet vollkommen entspannt aufs heimische Sofa zu locken und Syberia Remastered zu zocken. Zusammen mit dem eher gemächlichen Spieltempo, konnte mich die hübsche und äußerst stimmungsvolle Präsentation, die übrigens auch auf technischer Ebene überzeugt, sofort in ihren Bann ziehen. Der gelungene Soundtrack aus entspannten Klängen sorgte sogar öfter mal dafür, dass ich in wohlig-warmer Atmosphäre auf der Couch eingeschlummert bin, während ich mir eigentlich grad Gedanken über ein Rätsel machte. Und um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, was mehr nach cozyness schreit…oder eben sanft säuselt.

In keinem Fall soll das aber bedeuten, mit dem Remaster von Syberia eine nur wenig spannende Geschichte zu erhalten. Ganz im Gegenteil, denn vom einflussreichen Writing getrieben, wollte ich natürlich unbedingt erfahren, wohin die Reise Protagonistin Kate schlussendlich führt und welchen der oft auch humorvoll geschriebenen Dialoge sie als nächstes mit Automaten-Kumpel Oscar führen wird. Doch auch das Mysterium um die Mammuts und den verschwundenen Hans ließ mich nicht mehr los.

Technisch gibt es übrigens wenig zu bemängeln. Wahlweise habt ihr die Option zwischen einem Leistungs- und Qualitäts-Modus. Während ersterer flüssige 60 Bilder pro Sekunde garantiert, bietet der Qualitäts-Modus zusätzliche Optik-Details bei leicht schärferer Bildausgabe. Nüchtern betrachtet, bietet euch Syberia Remastered aber eh einen typischen Double A-Look, gehört also nicht unbedingt zur visuellen Speerspitze der Videospiellandschaft. Deshalb habe ich mich auch für die verbesserte, stets konstante Framerate entschieden und bin damit ziemlich gut gefahren, zumal der Unterschied ohnehin eher gering ausfällt. Lasst euch aber bitte nicht von den beigefügten Screenshots beirren, auch wir sind vom bereitgestellten Bildmaterial im offiziellen Pressekit dezent enttäuscht, und können euch leider nur diese drei Shots zeigen. Seid euch jedoch sicher, dass der Titel optisch deutlich mehr auf dem Kasten und auch das Color Coding eine größere Palette an Farben zu bieten hat, als es hier vielleicht den Eindruck macht.

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Was mich dann aber doch ziemlich genervt hat, war der Einsatz von chromatischer Aberration, die sich wie eine Vignette um den Bildschirmrand legt. Lässt sich ignorieren, doch wer das visuelle Stilmittel ohnehin gerne hinterfragt, wird sich auch hier daran stören. Außerdem sei noch erwähnt, dass die Cutscenes lediglich hochskaliert wurden und somit immer noch der Originalversion des Titels entsprechen, was der mühevollen Aufbereitung des Remasters einen kleinen Stilbruch verpasst.

Zum Schluss aber noch etwas positives. Solltet ihr den Titel auf der Playstation 5 spielen, dreht unbedingt den Lautsprecher eures Dualsense Controllers hoch. Unterhaltungen in Syberia Remastered führt ihr nämlich nicht nur von Person zu Person, sondern mitunter auch über ein mobiles Telefon. Der Sony-Controller mimt dann den Hörer und lässt die Sprachausgabe über dessen Audioausgabe erklingen. Nur ein kleines Detail, aber ich fand’s richtig lustig und habe mir, seltsam wie ich nunmal bin, den Controller regelmäßig ans Ohr gehalten…


Syberia Remastered ist seit dem 06. November 2025 für Playstation 5, Xbox Series X/S und den PC via Steam erhältlich. Der Preis fällt mit 29,99€ für die digitale Version ziemlich fair aus und bietet euch ein angenehmes Preis-/Leistungsverhältnis. Wer etwas tiefer in die Tasche greift, kann auch eine physische Limited Edition ergattern. 

Für diesen Test von Syberia Remastered wurde uns freundlicherweise ein Code für die Playstation 5-Version vom Publisher Microids zur Verfügung gestellt. Screenshots stammen aus dem offiziellen Pressekit. 


Fazit – Score: 9/10

Ach, du heiliges Mechanik-Mammut! Während Präsentation und Gameplay sinnvoll in die Moderne verfrachtet wurden, überzeugt Syberia Remastered weiterhin durch seine eigene, unverwechselbare Identität aus Clockpunk-Ästhetik und stark geschriebenen Charakteren, die beide ein zeitloses, gelungen poetisch erzähltes Narrativ befeuern und das Erbe ihres Schöpfers respektvoll behandeln. Neulinge erwartet ein entspanntes, mit geistreichen Ideen und Rätseln vollgepacktes Adventure, das Genre-Altlasten kaum noch erkennen lässt und den Spielkomfort in den Vordergrund rückt. Auch langjährige Fans sollten unbedingt einen erneuten Blick wagen, um zu schauen, was aus ihrem vielleicht ja absoluten Lieblings-Adventure von damals großartiges entstanden ist und ob es nicht doch den ein oder anderen neuen Inhalt zu entdecken gibt. Tolles Adventure, tolles Remaster – eine fantastische Erfahrung.

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