Ein düster-dystopisches Setting, actionreiches Gameplay und eine Story, die unserer Realität gar nicht so fern scheint – gemeinsam verpackt in einer stylischen Noir-Comic-Präsentation. Was soll da schon schiefgehen? Tja, so einiges, denn Liberated für die Nintendo Switch ist leider ’ne echte Gurke geworden. Woher die Enttäuschung kommt, klärt unser Test.
Zum allerersten mal stelle ich mir den Timer am Smartphone für einen Spieletest. Denn ich bin aufgeregt und will ganz genau wissen, für wie lange ich gebannt auf den Bildschirm meiner Nintendo Switch starren werde. Der Grund: Liberated. Das bereits im letzten Jahr angekündigte Action-Adventure des polnischen Entwicklerteams Atomic Wolf generierte nicht zuletzt wegen seiner handgezeichneten Comic-Präsentation jede Menge Aufmerksamkeit und landete bei vielen Interessenten auf der Most Wanted-Liste.
So auch bei mir, der nun, nach knappen drei Stunden, lustlos auf die Stopp-Taste des eifrig zählenden Displays drückt, auch die Konsole beiseite legt und mit einem leeren Blick fassungslos in den Raum starrt…
Dabei beginnt Liberated recht ordentlich. In einer dystopischen Zukunft, in der alle Menschen miteinander vernetzt sind und ein Punkte-ähnliches Belohnungssystem darüber entscheidet, wie wir als Bürger angesehen und letztlich auch behandelt werden, ist selbstverständlich kein Platz für Querschläger. Zu Blöd, dass uns das Sicherheitssystem der U-Bahn direkt mal als solcher enttarnt. Die bevorstehende Flucht vor den Staatstreuen Sicherheitskräften macht uns mit allen nötigen Kernelementen des Spiels vertraut und stimmt sogar erzählerisch ziemlich gut ein. Die Comic-hafte Präsentation, mit ihren flüssig aneinandergereihten Panels und der tollen akustischen Untermalung, zieht schnell in ihren Bann, vermeintliche Entscheidungsfreiheiten im Rahmen der Handlung machen vorerst Lust auf weitere Durchläufe.
Klingt doch super! Warum genau ist Liberated denn jetzt so schlecht?
So spannend und strukturiert die Geschichte von Liberated beginnt, so fix verliert sie ihren eigenen roten Faden auch wieder. Deutlich überambitioniert lässt uns der Titel die Story aus unterschiedlichen Perspektiven erleben, wechselt wirr vom hackenden Punker zum Polizeichef oder den anderen Mitgliedern der namensgebenden Liberated. Die Intention dahinter ist klar und prinzipiell kein schlechter Ansatz, denn im Kampf um gesellschaftliche Freiheit greift die Widerstandsgruppe zu teils drastischen Mitteln. Ob wir damit also weiterhin sympathisieren wollen oder beim Wechsel zur Gegenseite sogar so etwas wie Genugtuung empfinden, der Bande von Revoluzzern Einhalt zu gebieten, ist uns somit selbst überlassen.
Allerdings geschieht das ausschließlich in unseren Köpfen, den Verlauf der Handlung ändern wir dadurch nicht. Kleinere Abzweigungen bietet Liberated zwar zuhauf, doch bis auf ein paar alternative Panels für die nächsten paar Minuten, enden alle Optionen an den selben Knotenpunkten. Eine recht frühe Situation im Spiel macht das bereits gut deutlich. Nach unserem rasanten Entkommen aus der U-Bahn-Station, stürmt die Staatsmacht unser Versteck. Stellen wir uns, geht es direkt zum Verhör in die Polizeistation. Entscheiden wir uns dagegen für eine erneute Flucht, spurten wir noch eine Weile über Häuserdächer, weichen dem feindlichen Beschuss aus…und landen nach kurzer Zeit genauso in der Polizeistation, weil die Route eben ganz automatisch in einer Sackgasse endet.
Spielerische Freiheit geht natürlich anders und so kann das antiquierte Multiple-Choice-Design auch nicht über weitere Schwächen der Narrative hinwegtäuschen. Vielleicht ist es der kurzen Spielzeit von maximal drei Stunden geschuldet, aber nach zwei kompletten Durchgängen ist bei uns immer noch kein einziger Name hängengeblieben. Wie hießen noch gleich die Mitglieder der Liberated? Keine Ahnung, aber auch kein Wunder. In seiner knappen Dauer wirft uns der Titel schlicht zu viele Ereignisse, Charaktere und Orte um die Ohren. Es wird reichlich angedeutet, jedoch nie wertschätzend ausgearbeitet. Loyalität und Familie, Verrat und Korruption. Eigentlich spannende Themen, die das Setting perfekt stützen würden, bei uns aber nur ein gefühlloses Schulterzucken hervorbringen. Doch selbst ganz objektiv betrachtet, bietet Liberated keine Geschichte, die lange im Gedächtnis bleibt. Dystopische Szenarien aus der nahen Zukunft, genährt an realen Entwicklungen, in denen eine fortschreitende Digitalisierung die gesamte Gesellschaft verändert, haben wir schließlich schon so oft und teilweise viel besser erlebt. Zum Beispiel in State of Mind.
Nun ist Liberated aber nicht nur animierte Graphic Novel, sondern vorwiegend ein tatsächliches Spiel. Und hier muss man zumindest den flüssigen Übergang zwischen hübschem Sprechblasen-Panel und richtigem Gameplay loben, der wie aus einem Guss wirkt und uns wirklich das Gefühl verleiht, einen bewegten Comic zu erleben. Das war es dann aber schon wieder mit dem Lob, denn ähnlich seiner Erzählung, verfolgt der Titel auch spielerisch keine klare Linie und übernimmt sich ein wenig.
Auf dem Papier will Liberated ein Action-Adventure sein, ist im Grunde aber viel mehr als das. In seitlichen scrollenden Umgebungen bewegen wir unser Alter-Ego meist von links nach rechts, bewältigen simple Plattformer-Abschnitte, zielen wie bei einem Twinstick-Shooter in einem Radius von 180 Grad auf bewaffnete Feinde, gehen lautlos vor und lösen sogar einige Rätsel. Eine gelungene Mischung, möchte man nun meinen, doch stellen sich viele dieser Elemente gegenseitig ein Bein oder sind bloß schnödes Beiwerk, das heutzutage niemanden mehr hervorlocken sollte.
Stealth ist quasi ständig präsent und, wie so vieles in Liberated, ein Paradebeispiel für inkonsequentes Gamedesign. Sich per Knopfdruck hinter Häuserecken zu verstecken oder an Wachen heranzuschleichen, das mag im ersten der insgesamt vier Kapitel noch Sinn ergeben, sobald wir aber unsere allererste Schusswaffe in den Händen halten, verkommt leises Vorgehen zu einer Farce, die als einzigen Mehrwert die Spieldauer streckt, da Verstecken und Warten logischerweise mehr Zeit in Anspruch nehmen. Mit Konsequenzen müssen oder dürfen wir ohnehin nicht rechnen. Ob nun als Assassine oder randalierender Rambo, unser Spielstil ändert rein gar nichts in Liberated.
Klar, mit Gegnern von allen Seiten und sogar aus der Luft, ist bedachtes Vorgehen manchmal sogar die einzige Alternative, solche Momente sind jedoch rar gesät und selbst auf dem höchsten der beide Schwierigkeitsgrade gut zu meistern, zumal die Checkpoints stets fair verteilt sind. Trotzdem fühlt es sich einfach unstimmig an, wenn wir mit einer Schrotflinte im Anschlag durch die Basis der Liberated pflügen und an jeder Ecke immer noch der Tastenbefehl für das Verstecken aufleuchtet. Deckung bieten Wände, Kisten und Co. ohnehin nur bedingt, denn das Feuer können wir dort nicht eröffnen, bzw. erwidern. Stumpf verharren und auf bereits alarmierte Gegner warten, die wir dann in einem kurzen Quicktime-Event aus der immer noch selben Position heraus niederstrecken, das funktioniert aber schon und wirkt mehr als merkwürdig.
Apropos, denn allen Feinden wurde eine Ragdoll-Physik hinzugefügt, was uns leblose Körper teils meterweit mitschleifen lässt, im Test aber auch schon mal für eine unüberwindbare, menschliche Barriere sorgte und den Neustart erforderte. Ansonsten basiert in Liberated wenig auf Physik. Animationen wirken steif und abgehakt, das mittlerweile eigentlich überall etablierte strifen über Objekte ist gar nicht erst möglich. Jedes Hindernis wartet viel mehr auf die Eingabe der richtigen Taste zur richtigen Zeit, um die passende Animation dafür abzuspielen. Hinzu kommt eine deutlich spürbare Eingabeverzögerung, mit der wir uns zu allem Überfluss auch noch in Abschnitten unter Wasser herumärgern dürfen. Die mag ja bekanntlich jeder.
Ansonsten wird in Liberated viel geballert. Ein Laser hilft beim Zielen, mit dem rechten Stick legen wir dabei die Richtung fest. Doch das Gunplay ist schwammig, es fehlt an Durchschlagskraft und diesem Befriedigenden Gefühl, das sich immer schwer in Worte fassen lässt, aber sofort auffällt, sobald es da ist, hier aber lediglich dafür sorgt, mit Wehmut an Titel wie My Friend Pedro zu denken. In Sachen Denksport bietet Liberated hingegen alles, was wir in den letzten zehn Jahren eigentlich hinter uns geglaubt hatten. Kisten verschieben, pseudo-hacking in Form simpler Hexagon-Rätsel, ja, sogar Linien dürfen wir miteinander verbinden, um Schlösser zu knacken. Anspruch sieht anders aus und so verschenkt der Titel auch hier wieder jede Menge Potential.
Die technische Seite von Liberated ist ein zweischneidiges Schwert, das allerdings nicht immer so scharf schneidet wie ein Blatt Papier in den unachtsamen Daumen. Während der Mix aus Comic und Spiel als durchaus gelungen gilt, jeder Schrei mit einem Aaaargh daherkommt und Schüsse durch ein ausdrucksstarkes PENG auf dem Bildschirm visualisiert sind, fehlt es den Schauplätzen hingegen an optischem Abwechslungsreichtum. Bunker, Tunnel und Gebäude reihen sich brav in den monotonen Einheitsbrei ein, woran garantiert auch der generelle Schwarz/Weiß-Look eine gehörige Mitschuld trägt. Als Comic- und Manga-Fan lässt sich dem natürlich nur wenig entgegensetzen, ein bisschen Farbe an den richtigen Stellen hätte dem Titel aber durchaus gut getan, zum Beispiel als visuelles Zeichen für die aufkeimende Revolution. Dass die Entwickler auch etwas mit buntem Artwork zaubern können, zeigen bereits die handgezeichneten Cover der insgesamt vier Ausgaben, die in Liberated als Kapitel dienen, und somit richtig hübsch aussehen.
Der Wechsel zwischen Graphic Novel und Gameplay mag zwar flüssig sein und verspricht, auch wegen des tollen Sounddesigns mit allerlei Umgebungsgeräuschen und treibenden Drum’n’Bass-Klängen, Immersion auf hohem Niveau, die optische Brillianz der mit Handzeichnungen gefüllten Panels erreicht das eigentliche Spielgeschehen jedoch nie. Im Gegenteil, denn dort hinterlässt Liberated einen eher abschreckenden Eindruck und kann nur durch nette Licht- und Explosionseffekte punkten.
Im Handheldmodus der Nintendo Switch plagen uns die üblichen Verdächtigen. Alles sieht ein wenig verwaschen aus, die Ladezeiten sind deutlich länger und selbstverständlich müssen wir manchmal mit zugekniffenen Augen auf das Display starren, weil Textboxen und Sprechblasen viel zu klein erscheinen. Dem hätte man mit einer praktischen Zoom-Funktion entgegenwirken können, doch die fehlt. Zumindest im weitesten Sinne, denn für ca. 5% dürfen wir das Geschehen näher heranholen, mehr aber auch nicht. Warum das so ist und man nicht einfach die Grundidee jeder modernen Comic-App übernommen hat, bleibt uns leider ein Rätsel. Selbst die Vibration des Controllers lässt sich nicht ausschalten, was angesichts starker Erschütterungen bei den regelmäßigen Feuergefechten schon etwas nerven kann.
Liberated ist ab dem 02. Juni 2020 vorerst exklusiv für die Nintendo Switch erhältlich und schlägt als rein digitaler Titel mit 19,99€ zu Buche. Später soll der Titel auch für Steam auf PC, Xbox One und Playstation 4 erscheinen, ein genauer Release-Zeitpunkt steht noch aus.
Der Test basiert auf einem Review-Code für Liberated auf der Nintendo Switch, der uns freundlicherweise von unseren Medienpartnern zur Verfügung gestellt wurde. Screenshots und Titelbilder stammen aus dem offiziellen Pressekit.