Ständig erscheinen neue Comics aus verschiedenen Universen, da ist es schwer, den Überblick zu behalten. Egal, ob DC, Marvel, Star Wars oder komplett andere Serien – immer stellt sich die Frage, was man sich als Nächstes holen soll. Um euch die Entscheidung etwas zu erleichtern und eine stärkere Übersicht zu gewährleisten, geben wir euch immer mal wieder Kritiken zu den neuesten deutschen Ausgaben verschiedener Comics. Viel Spaß mit unserer Kritik zu Carnage 2.
Erscheinungsdatum | 11.02.2025 |
Zeichner | Juan Ferreyra, Ken Lashley, Pere Pérez |
Autor | Al Ewing, Torunn Grønbekk |
Format | Softcover |
Seitenanzahl | 184 |
Stories | Carnage (2023) 5–8, Venom (2021) 31–34 |
Preis | 25,00 € |
Kaum eine Figur im Marvel-Kosmos vereint Wahnsinn, Gewalt und groteske Faszination so eindrucksvoll wie Carnage. Ursprünglich Anfang der 1990er-Jahre eingeführt, entstand er als mörderisches Abfallprodukt des Venom-Symbionten und verband sich mit dem berüchtigten Serienkiller Cletus Kasady. Was folgte, war eine blutige Erfolgsgeschichte, die Carnage rasch zu einem der furchteinflößendsten Gegenspieler im Spider-Man-Universum machte. Während Venom im Laufe der Jahre eine Entwicklung vom Monster zum Antihelden durchlief, blieb Carnage stets ein Symbol für kompromisslosen Terror – wild, unberechenbar und ohne jede moralische Ambivalenz.
In jüngerer Zeit jedoch begann Marvel, neue Wege mit der Figur zu gehen. Spätestens seit den Events rund um Absolute Carnage und King in Black wurde deutlich, dass der Symbiont mehr ist als nur ein Werkzeug des Wahnsinns. Die 2024 gestartete neue Serie wagte den Schritt, Carnage erstmals vollständig losgelöst von Cletus Kasady zu zeigen (auch wenn Sie sich während des Comics wiedergefunden haben). Ohne seinen ursprünglichen Wirt beginnt der Symbiont, sich selbst zu hinterfragen – oder besser gesagt, sich selbst neu zu erfinden. Was ist Carnage ohne Kasady? Ein leerer Hüllenjäger, ein auf sich allein gestelltes Monster, oder eine neue, gefährlichere Form des Bewusstseins?
Carnage 2 aus dem Jahr 2025 knüpft direkt an diese Entwicklung an. Die Geschichte setzt dort an, wo der erste Band endete, und führt den Leser weiter in die Abgründe einer Figur, die sich immer mehr vom klassischen Schurkenbild entfernt. Zwischen identitätssuchendem Terror, metaphysischen Andeutungen und einer blutroten Bildsprache stellt sich die Frage: Bleibt der Comic erzählerisch auf Kurs oder verliert er sich im Rausch seiner eigenen Brutalität?
Danke an Panini für das Bereitstellen des Rezensionsexemplars!
Inhalt:
Cletus Kasady, verschmolzen mit dem wahnsinnigen Carnage-Symbionten, entfesselt eine beispiellose Welle des Schreckens – und hat dabei ein ganz bestimmtes Ziel: den jungen Dylan Brock, der als neuer Venom in die Fußstapfen seines Vaters Eddie tritt. Mit dem Angriff auf Dylan wollen sie Eddie aus seinem Versteck zwingen – und lösen damit einen erbarmungslosen Krieg der Symbionten aus, der sich durch Körper, Geist, Raum und Zeit zieht. Doch als wäre das Chaos nicht genug, müssen sich die dunklen Antihelden mitten im tobenden Blutvergießen von Blood Hunt auch noch gegen eine uralte Bedrohung behaupten: Vampire.
Und genau hier liegt das Problem: Dieser Comic wirkt streckenweise sehr unfokussiert.
Bitte versteht mich nicht falsch – Carnage 2 hat mir wirklich gut gefallen. Es ist eine spannende Sammlung verschiedener Crossover, unter anderem mit Venom und den Vampiren im Rahmen des Blood Hunt-Events. Doch genau diese Vielfalt führt dazu, dass dem Comic ein roter Faden fehlt. Zwar könnte man argumentieren, dass die Auseinandersetzung mit der „Philosophie der Gewalt“ als thematische Klammer dient – doch leider bleibt diese oft bloße Behauptung. Dadurch gehen viele der Stärken verloren, die ich im ersten Band noch lobend hervorgehoben habe. Und das ist wirklich schade.
Immerhin: Gegen Ende hin fängt sich die Geschichte wieder ein wenig. Mit Auftritten von Flash, Misery und natürlich Carnage selbst wird der Plot wieder greifbarer. Hier kehren auch Motive zurück – etwa der Einfluss sozialer Medien –, die im ersten Band besonders spannend waren. Nach dem etwas konfusen Einstieg hatte ich das fast schon vergessen.
Ich hätte mir gewünscht, dass die zahlreichen Crossover in einem eigenen Sonderband behandelt worden wären. So wirken sie in Carnage 2 teilweise deplatziert – obwohl sie für sich genommen richtig stark sind: brutal, atmosphärisch dicht und voller grandios inszenierter Carnage-Momente. Einfach geil – nur eben nicht so geil, wie es hätte sein können.
Zeichnung:
Was der Geschichte an Stringenz fehlt, macht Carnage 2 in Sachen Kunst mehr als wett. Juan Ferreyra, Ken Lashley und Pere Pérez liefern großartige Arbeit ab. Die Bilder sind nicht nur gnadenlos brutal, sondern auch stilistisch herausragend – voller Dynamik, Tiefe und Ausdruck. Besonders der Abschnitt mit den Vampiren wirkte auf mich wie ein einziges, großes Gemälde, das man minutenlang betrachten möchte. Diese kreative Bildgewalt wünscht man sich öfter – auch wenn die explizite Brutalität natürlich zu Carnage passt wie die Faust aufs Auge, bei anderen Helden aber weniger angebracht wäre.
Wer also über eine manchmal etwas zerfahrene Story hinwegsehen kann und sich gern in starken Panels verliert, bekommt hier ein echtes Kunstwerk geboten, das man sich bei Gelegenheit unbedingt anschauen sollte.
Fazit zu Carnage 2:
Carnage 2 ist ein wilder, blutgetränkter Ritt durch die Abgründe eines Charakters, der sich seiner selbst zunehmend bewusst wird – und gerade dadurch noch gefährlicher erscheint. Der Comic setzt die im ersten Band angestoßene Entwicklung konsequent fort und stellt die Frage, was ein Wesen wie Carnage ohne seinen ursprünglichen Wirt überhaupt noch ist. Die Antwort bleibt vage, aber gerade darin liegt eine düstere Faszination: Der Symbiont wird mehr und mehr zu einem eigenständigen, metaphysischen Schrecken, der nicht nur Körper zerstört, sondern auch Ideen von Identität, Macht und Wahnsinn durchdringt.
Allerdings wird diese spannende Neuausrichtung immer wieder durch zahlreiche Crossover-Elemente ausgebremst. So spannend Begegnungen mit Dylan Brock, Venom oder den Vampiren im Rahmen von Blood Hunt auch sein mögen – sie zerfasern die eigentliche Erzählung. Der Comic verliert stellenweise den Fokus, stolpert über seine eigene Ambition und wirkt dabei eher wie ein Sammelband verschiedener Handlungsfäden als wie eine klare, kohärente Geschichte. Themen wie Gewalt, Kontrolle und Transformation blitzen auf, werden aber oft nicht ausreichend vertieft.
Dennoch bleibt Carnage 2 ein Erlebnis, insbesondere durch seine visuelle Wucht. Die künstlerische Gestaltung ist ein echtes Highlight: Die Bilder sind brutal, eindrucksvoll, stellenweise sogar poetisch – genau das Richtige für Fans von düsterer, kompromissloser Comic-Ästhetik. Die Zeichner verstehen es, Carnage nicht nur als Monster, sondern als Symbol zu inszenieren, das sich tief in die Netzhaut brennt.
Unterm Strich ist Carnage 2 ein Comic, der viel will – manchmal zu viel. Wer den ersten Band mochte, wird auch hier spannende Ansätze und einige herausragende Momente finden. Aber man muss bereit sein, sich durch narrative Sprünge und thematische Umwege zu kämpfen. Es ist ein blutiger, lauter, manchmal brillanter, manchmal überladener Beitrag zum Marvel-Kosmos – und für Fans des Wahnsinns definitiv einen Blick wert.