The Letter: A Horror Visual Novel bei uns im Test

von Dennis
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Kettenbriefe – Wer noch nie einen bekommen hat, war wohl nicht in der Schule. So richtig ernstgenommen hat die Dinger zwar nur selten jemand, doch The Letter: A Horror Visual Novel könnte das jetzt Ă€ndern, denn dort ruft das nervige SchriftstĂŒck tatsĂ€chlich einen Geist auf den Plan. Was das alles mit Rassismus zu tun hat und wie gut die vier Jahre alte Visual Novel auf der Nintendo Switch ankommt, lest ihr in unserem Test.

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Ein Kettenbrief, nicht schon wieder…

Als die junge Immobilienmaklerin Rebecca kurz vor dem Verkauf eines alten Anwesens steht, scheint ein langersehnter Traum fĂŒr sie in ErfĂŒllung zu gehen. Der Deal in Millionenhöhe verspricht schließlich genĂŒgend Geld, um dem pflegebedĂŒrftigen Vater eine angemessene Therapie finanzieren zu können. Blöd nur, dass die Exil-Filipina wĂ€hrend einer ihrer Besichtigungstermine im britischen Herrenhaus einen mit Blut beschrifteten Kettenbrief findet, der sie standesgemĂ€ĂŸ zum Weiterleiten innerhalb einer knappen Frist auffordert. Ein dummer Streich, denken wir noch, da steht auch schon der Geist der sogenannten Ermengarde Villa vor uns. Die okkulte Erscheinung in Form einer nur zur HĂ€lfte lebendig wirkenden Dame scheint es wirklich ernst zu meinen und wir entkommen ihr mittels Quicktime-Event nur knapp. SelbstverstĂ€ndlich will uns diese Geschichte mal wieder niemand abkaufen und sogar wir selbst zweifeln wenig spĂ€ter an den Ereignissen. Doch als Rebeccas Kollegin auf mysteriöse Weise ums Leben kommt, scheint der Albtraum wahr zu werden. Tja, Wohnungsmarkt und Kettenbriefe sind eben lĂ€ngst kein Thema zum Scherzen mehr.

Von filmischen Werken wie The Ring inspiriert, lĂ€sst The Letter: A Horror Visual Novel bereits frĂŒh einen Sog entstehen, in dem sich sieben spielbare Charaktere einem gemeinsamen Schicksal gegenĂŒbersehen und versteht es dabei als eine der wenigen Ausnahmen im Genre, echtes Gruselfeeling zu erzeugen. Als Horror Visual Novel klassifiziert, jagt uns der Titel in regelmĂ€ĂŸigen AbstĂ€nden einen Schauer nach dem nĂ€chsten ĂŒber den RĂŒcken. Sei es durch gut platzierte, bildgewaltige Jumpscares oder eine langsam aufgebaute, beklemmende AtmosphĂ€re. So taucht der Geist des Hauses zum Beispiel plötzlich vor der Linse einer Kamera auf oder krabbelt schaurig-schön animiert ĂŒber den gesamten Bildausschnitt. Audiovisuell von harten Schnitten und hektischer Hintergrundmusik getragen, durchbrechen diese Momente einmal mehr den sonst eher statischen Verlauf einer Visual Novel und gehören damit ganz klar zu den Highlights des Titels. Quicktime-Events sind dann ebenfalls mit von der Partie, die werden nur leider nie erklĂ€rt. Auf den A-Knopf zu hĂ€mmern erscheint noch relativ logisch, doch wenn wir aus heiterem Himmel Tastenkombinationen im Vorfeld erahnen mĂŒssen, bleibt bloß noch stupides Ausprobieren. Zum GlĂŒck setzt das Spiel vor Begegnungen dieser Art aber einen automatischen Speicherstand und wer auf QTEs vollstĂ€ndig verzichten möchte, kann die in den Optionen einfach deaktivieren.

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Eine Frage der Perspektive

Neben der Haupthandlung um verfluchte Kettenbriefe und spirituelle Bluttaten, setzt The Letter: A Horror Visual Novel einen enorm großen Fokus auf seine sieben Charaktere und deren Beziehungen untereinander. Freundschaften, Dramen und die Lieben wollen schließlich genauso ergrĂŒndet werden, wie das gruselige Geheimnis der Villa. Wer hier mit wem anbĂ€ndelt, wie sich Verbindungen und Verlauf der Story entwickeln, liegt dabei ganz in unserer Hand. Durch unzĂ€hlige Abzweigungen und Multiple Choice-Momente, entsteht fĂŒr jeden Durchgang ein ganz individuelles Erlebnis, das sich auch tatsĂ€chlich von den anderen abhebt und geduldige Spieler mit einer Vielzahl von alternativen Enden belohnt. Dank einer nicht-chronologischen ErzĂ€hlstruktur, schlĂŒpfen wir nacheinander in die Rolle jedes beteiligten Protagonisten und lernen so HintergrĂŒnde und Motivationen besser kennen. Das ist erzĂ€hlerisch besonders wertvoll, da viele Persönlichkeiten in den ersten Stunden ein klein wenig oberflĂ€chlich auftreten. Spielen wir aber spĂ€ter ihr zugewiesenes Kapitel, sympathisieren wir vielleicht sogar mit ihnen, weil bestimmte Verhaltensmuster nun nachvollziehbar wirken. Auch der kontraststarke Perspektivwechsel weiß zu gefallen, wenn wir plötzlich vom harten Arbeiter zum superreichen Promi wechseln und die Geschehnisse aus diesem völlig anderen Blickwinkel betrachten.

Der diverse Cast aus Rebeccas Clique, einer Innenausstatterin und den wohlhabenden KĂ€ufern des Anwesens verfehlt nur leider ein hochgestecktes Ziel: tatsĂ€chliche DiversitĂ€t abseits stereotyp generierter Abziehbilder. Rassismus, Armut, psychische Probleme, sogar sexuelle Gewalt – die Palette der Themen meint es ernst, wirkt in ihrer Darstellung aber oft einseitig und schwach. Wie selbstverstĂ€ndlich ist es Zach, ein dunkelhĂ€utiger Freiberufler, der seit seiner frĂŒhen Kindheit von Rassismus betroffen scheint, Rebecca die unermĂŒdliche Arbeiterin, die von den Philippinen migrierte um Geld in die arme Heimat zu senden und Luke Wright der mĂ€chtige Antagonist – groß, hellhĂ€utig, finanzstark mit aalglattem Erscheinungsbild. Das ist nicht grundverkehrt und die Thematisierung gesellschaftlicher Probleme ein mittlerweile wichtiger Aspekt in Videospielen, doch fĂ€llt die Problematik in der RealitĂ€t oft leider deutlich vielschichtiger und nicht ganz so vereinfacht dargestellt aus, weshalb wir uns bei dieser Herangehensweise ein wenig mehr Mut zu kontroversen Perspektiven gewĂŒnscht hĂ€tten.

Nichtsdestotrotz bleibt die Charakterentwicklung eines der wichtigsten Elemente von The Letter: A Horror Visual Novel, da sie eben einen Großteil der gesamten Spieldauer ausmacht. Doch was Spannung birgt, bringt oft auch Leid und so verliert sich die ErzĂ€hlung gerne in ausufernden Gedanken ĂŒber aktuelle Geschehnisse und Protagonisten fĂŒhren teils ellenlange GesprĂ€che ĂŒber irrelevante Themen. Erfahrene Leseratten dĂŒrften an diese Art der Detailverliebtheit bereits gewöhnt sein, doch mit einer so spannenden PrĂ€misse im Hintergrund nimmt das Pacing nun mal Schaden, wenn es wieder einmal minutenlang um ein selbstgekochtes Gericht geht. Und mit ĂŒber 700.000 Wörtern ist The Letter: A Horror Visual Novel bei weitem kein kurzweiliges VergnĂŒgen, stellt euch also auf eine sehr langlebige Erfahrung ein, die zumindest an ihrer Dauer gemessen, Genre-Kollegen wie Steins;Gate Elite absolut ebenbĂŒrtig ist.

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Wenn Blicke töten könnten

WĂ€hrend die Charaktere in ihrer Entwicklung gespannt zu verfolgen und die zahlreichen Dialoge unterhaltsam geschrieben sind, lĂ€sst ihr optisches Design durchaus zu wĂŒnschen ĂŒbrig. Über die mobile Herkunft aus 2017 wollen wir uns ja gar nicht auslassen, das hat auch schon das großartige Raging Loop ĂŒberlebt, aber der Mix aus westlichen Charaktermodellen mit angenehm durchschnittlichen Proportionen und zeitgleich doch sehr fernöstlichen Attributen, wie etwa riesigen Augen, wirkt hier ziemlich merkwĂŒrdig. In ihrer Darstellung als animierte, ĂŒbrigens komplett vertonte und lippensynchrone Sprites mag das noch in Ordnung gehen, doch wenn ein Protagonist als verkleinertes Thumbnail neben der Textbox auftaucht, erschrecken wir uns oft mehr ĂŒber Mimik und Zeichenstil, als ĂŒber den verfluchten Geist des Anwesens. Auch die HintergrĂŒnde sind grundsĂ€tzlich hĂŒbsch anzusehen, scheitern allerdings an ihren ambitionierten Animationen. NatĂŒrliches Licht wird in seiner Beweglichkeit viel zu hektisch dargestellt und die ewig gleichen Assets von Vögeln, die vor dem Fenster vorbeifliegen, bieten nur wenig optischen Mehrwehrt.

DafĂŒr ist technisch alles in bester Ordnung und The Letter: A Horror Visual Novel bietet auch auf der Nintendo Switch eine flĂŒssige Erfahrung ohne erwĂ€hnenswerte Fehler. Die Bedienbarkeit fĂ€llt angenehm komfortabel aus und selbst der Touchscreen findet Verwendung. Über den rechten Stick navigieren wir bequem durch ein dauerhaft eingeblendetes MenĂŒ, speichern oder laden unseren Spielstand so jederzeit, verĂ€ndern die Schwierigkeit oder orientieren uns am wegweisenden Leitfaden, der den Verlauf unserer bisherigen Entscheidungen ĂŒberschaubar zusammenfasst. Auch Informationen ĂŒber Charaktere und Beziehungen lassen sich auf diese Weise schnell nochmal nachschlagen. Auf die Ohren gibt es stimmungsvolle Piano-KlĂ€nge, die je nach Situation verspielt oder bedrohlich klingen und sogar einen eigens komponierten Soundtrack mit Gesang. Die Dialoge wurden komplett vertont, zum allgemeinen VerstĂ€ndnis – ĂŒbrigens auch beim Lesen! – solltet ihr allerdings fortgeschrittene Englischkenntnisse mitbringen. FĂŒr die SammelwĂŒtigen unter euch bietet der Titel sogar noch ein eigenes Achievement-System, weshalb der Langzeitmotivation nun nichts mehr im Wege stehen sollte.


The Letter: A Horror Visual Novel ist seit dem 15. Dezember 2021 auch fĂŒr die Nintendo Switch, Playstation 4/5 und Xbox erhĂ€ltlich. FĂŒr 19,99€ könnt ihr den Titel digital erwerben, eine limitierte physische Version gibt es ĂŒber Anbieter wie PlayAsia.

FĂŒr diesen Test von The Letter: A Horror Visual Novel wurde uns freundlicherweise ein Reviewcode vom Publisher EastAsiaSoft zur VerfĂŒgung gestellt. Screenshots stammen aus dem offiziellen Press-Kit.

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[…] Lesefreunde und all diejenigen, die gerne mehr ĂŒber die Hintergrundgeschichte erfahren wollen, sollten sich zwischendurch einen ruhigen Moment gönnen und mal durch die gesammelten Objekte blĂ€ttern. Denn was erst wie wirre Nachrichten und zusammenhangsloser PapiermĂŒll erscheint, birgt spannende Infos. Und keine Sorge, es ist zwar einiges an Text, allerdings noch lange nicht so viel wie im Horror-Visual-Novel The Letter. […]

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Wolfgang Berg 13. April 2024 - 20:24

Ich entschuldige mich aufrichtig fĂŒr diesen Kommentar! Aber ich teste einige Software zum Ruhm unseres Landes und ihr positives Ergebnis wird dazu beitragen, die Beziehungen Deutschlands im globalen Internet zu stĂ€rken. Ich möchte mich noch einmal aufrichtig entschuldigen und liebe GrĂŒĂŸe 🙂

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