Wo ein Final Fantasy XV mit teils abstrusen Gameplay-Ideen versucht, dem mittlerweile leicht angestaubten RPG-Genre neues Leben einzuhauchen, setzt Persona 5 ganz selbstbewusst auf alte Stärken und perfektioniert diese. Unser Test zum Rollenspiel-Meisterwerk auf der Playstation 4.
Funkelnder Schmuck, wertvolle Gemälde und Erbstücke, die einen hohen Gegenwert auf dem Schwarzmarkt versprechen – oh, du verlockendes Diebesgut. Alles Nichtigkeiten in Persona 5, denn statt klobige Staubfänger zu suchen, gehen wir in Atlus neuem J-RPG auf die Jagd nach verdorbenen Herzen.
Tagsüber ein unscheinbarer Schüler, in der Nacht ein berüchtigter Superheld mit alternativer Identität. Seit Beginn der traditionsreichen Serie vor über 20 Jahren hat sich Atlus diesem oft gehegten Jugend-Traum verschrieben und macht natürlich auch für Persona 5 keine Ausnahme. Erneut übernehmen wir die Kontrolle über eine Gruppe von Teenagern, die nicht nur für gute Noten, sondern auch gegen eine weltumfassende Bedrohung kämpft und dafür die Macht der sogenannten Persona nutzt.
Der bekannte Mix aus Dungeon-Crawler, Lebenssimulation und Visual Novel motiviert wieder ungemein und stellt uns dabei mit einem integrierten Ingame-Kalender einmal mehr vor die schwerwiegende Frage, ob wir jetzt lieber für die nächste Prüfung büffeln oder dem Bösen Einhalt gebieten sollen.
Herzhafte Diebestour
Sicher keine leichte Entscheidung, schon gar nicht für unseren stummen Helden in spe, den es für ein ganzes Schuljahr in das belebte Tokio verschlägt. Komplexes U-Bahnnetz, fremde Umgebung und neue Mitschüler – alles sehr verwirrend. Passend dazu, lässt sich Entwickler Atlus angenehm viel Zeit, um uns an die neue Umgebung heranzuführen und auch ihre Charaktere vorzustellen. Der Start von Persona 5 fühlt sich überraschend authentisch an, sodass wir schon recht früh im Spiel anfangen, eine gewisse Verbindung mit dem Hauptdarsteller aufzubauen. Wobei Verbindung vielleicht das falsche Wort ist, Identifikation trifft es da schon eher. Durch sein wortkarges Erscheinungsbild und die etlichen Multiple-Choice-Dialoge, schlüpfen wir direkt in die Rolle des vorgegebenen Alter Egos und vergessen dabei fast, dass wir ja nur eine fiktive Story nacherleben.
Die nimmt dann übrigens äußerst schnell an Fahrt auf und wirft uns ohne Umschweife in das erste Dungeon. Denn wie sich herausstellt, haben alle Menschen, die sich in der echten Welt schlecht verhalten, ein buchstäbliches Luftschloss in einem Paralleluniversum errichtet, das haargenau ihrer Gedankenwelt entspricht. So ertappen wir Volleyball-Lehrer Kamoshida dabei, wie er in der Realität Schüler misshandelt und finden stichhaltige Beweise dafür in seiner Traumwelt, die mit bizarren Folterszenen und seinem königlichen Ebenbild aufwartet. Um dem entgegenzutreten und das Verhalten des überambitionierten Lehrers auch im echten Leben zu verändern, müssen wir an den größten Schatz des Schlosses gelangen – das Herz seines Herrschers.
Aus der anfänglich eher unfreiwilligen Allianz, entwickelt sich schon bald eine eingeschworene Diebesgilde, die in ihrem Auftreten an den zauberhaften Charme eines Arsene Lupin erinnert. Ganz unentdeckt bleiben unsere nächtlichen Heldentaten, trotz Maskierung, dann aber doch nicht, denn der plötzliche Sinneswandel bestimmter Zielpersonen fällt auch der verwunderten Regierung ins Auge. Eine Fanseite im Internet über die Phantom Thieves macht das Versteckspiel selbstredend nicht einfacher und es entpuppt sich ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel, dessen Rahmenhandlung zu den besten zählt, die die Videospiellandschaft je gesehen hat.
Auf leisen Sohlen
Dungeons werden nun endlich nicht mehr zufällig generiert, unseren Weg zieren stattdessen die festgelegten Korridore hübsch gestalteter, thematisch stets unterschiedlicher Level, die mit ihren Rätseln und gelegentlichen Plattformer-Einlagen fast so etwas wie klassisches Zelda-Feeling versprühen. Feinde wandern jederzeit sichtbar über die Karte und sind an ein ausgeklügeltes Stealth-System gebunden. Im besten Fall suchen wir eine der zahlreichen Deckungsmöglichkeiten auf und schlagen im richtigen Moment zu, um daraus einen Vorteil für den nun folgenden Kampf zu erhalten. Geraten wir jedoch zuvor ins Sichtfeld des Gegners, löst das einen Alarm aus, der weitere Schergen herbeiruft. Außerdem füllt sich so ein Balken, der, sobald er das Maximum erreicht hat, zum automatischen Rückzug aus dem Dungeon führt. Glücklicherweise entdecken wir in den Verliesen auch ein paar der rar gesäten Save Rooms, die wir nicht nur zum Speichern, sondern auch für eine bequeme Schnellreise-Funktion benutzen. Auf diese Weise müssen wir nicht immer wieder von vorne starten und können zwischendurch sogar zurück in die echte Welt reisen, um z.B. den Vorrat an Heilitems aufzustocken. Ein wenig Eile ist aber schon angesagt, denn meist müssen die Dungeons bis zu einem gewissen Stichtag bewältigt werden.
Um die rundenbasierten Auseinandersetzungen kommen wir ohnehin nicht herum. Das Kampfsystem besteht wieder aus den üblichen Nah-, bzw. Fernkampfangriffen und insgesamt 8 elementaren Magie-Attacken. Wie üblich für die Serie gilt, wer die Schwäche eines Gegners gekonnt ausnutzt, macht diesen vorerst kampfunfähig und erhält zudem einen weiteren Zug, der in Persona 5 per Baton Pass auf einen Mitstreiter übertragen werden darf. Befinden sich alle feindlichen Monster auf dem Boden, sind aber nicht besiegt, erhalten wir zudem die Chance auf eine All-Out Attack, also einen meist vernichtenden, finalen Schlag, den alle vier Mitstreiter gemeinsam ausführen.
Vielleicht sollten wir aber lieber die Chance ergreifen und in diesen Momenten ein Gespräch mit den monströsen Kontrahenten suchen, das je nach Verlauf mit Items, kleineren Geldsummen oder einer neuen Persona-Begleitung lockt. Einfach ist das aber nicht, denn wie schon in der Schwester-Serie Shin Megami Tensei, verfügen die Biester über ziemlich eigensinnige Persönlichkeiten, die es erst einmal zu durchschauen gilt. Eine falsche Antwort im folgenden Multiple-Choice-Dialog führt automatisch zurück zum Kampfgeschehen. Konnten wir jedoch eines der Monster für unsere Zwecke gewinnen, darf im Velvet Room wieder fleißig fusioniert werden, denn nach wie vor entscheidet hauptsächlich die Wahl unserer mitgeführten Persona über Sieg oder Niederlage.
Zusammen mit einem fortschrittlich gestalteten Kampfsystem, birgt die Pokémon-ähnliche Monsterhatz jede Menge Motivation und Spielspaß, kann im selben Zug nur leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass es manchmal etwas willkürlich erscheint, ob sich uns gewisse Dämonen anschließen oder lieber wieder in den Angriff übergehen.
Straffer Terminkalender
Abseits der Story und ihrer Dungeons, präsentiert sich der Titel erneut als verdammt spaßige Real-Life-Simulation mit vielen Entscheidungsfreiheiten, aber striktem Zeitplan. Jede Aktion verbraucht mindestens eine Zeiteinheit, von der uns lediglich zwei pro Tag zur Verfügung stehen. Verplempern sollten wir diese Zeit aber keinesfalls, denn jede noch so unscheinbare Aktion, hat hier ihren Sinn. Ein Nachmittag in der Bibliothek steigert unser Wissen, weshalb wir auch selbstbewusst in die nächste Prüfungsphase gehen. Eine kleines Ausdauertraining mit unseren neuen Freunden hingegen, verhilft möglicherweise zu bislang ungeahnten Kräften.
Fleißig trainierte Attribute öffnen fortwährend neue Tore in der Spielwelt von Persona 5. Mit ausreichend Mut und einem cleveren Geist, erhalten wir beispielsweise immer bessere Items zur Heilung oder Zugang zu wertvollen Waffen. Ein wenig mehr Aufmerksamkeit erfordern die Confidents, die Veteranen der Serie vielleicht noch als Social Links bekannt sein dürften. Mit insgesamt 21 interessant geschriebenen Geschichten und genauso vielen nützlichen Fähigkeiten im Gepäck, lohnt es sich durchaus, die Verbindung zu ihnen bei einer Tasse Kaffee zu vertiefen.
Die Kommunikation geschieht im gesamten Spiel ausschließlich über Multiple-Choice-Dialoge. Während sich das in anderen Titeln gerne mal belanglos anfühlt, beeinflussen wir mit unseren Antworten das Geschehen in Persona 5 deutlich sichtbar und nachhaltig.
Dabei muss eine vernachlässigte Freundschaft nicht einmal böswillige Absicht sein. Ständig passiert etwas, das unsere Aufmerksamkeit und vor allem die so knapp bemessene Zeit erfordert. Mal abgesehen von den zahlreichen Nebenaktivitäten und einer interessanten Spielwelt, zieht uns auch die Story voll in ihren Bann. Die mittlerweile geplanten Diebeszüge der stetig wachsenden Phantom Thieves wollen zeitlich gut strukturiert sein, denn vor allem hier zaubern uns das festgelegte Zeitlimit und ein knackiger Schwierigkeitsgrad die ein oder andere Schweißperle auf die Stirn. Wer es dagegen gemütlicher angehen und die Story in vollen, stressfreien Zügen genießen möchte, wählt zu Beginn den einfachsten von insgesamt vier Schwierigkeitsgraden.
Moderne Popkultur
Zu einem derartigen Spielumfang, der locker über 100 Stunden eurer Lebenszeit frisst, gehört natürlich auch ein anständiger Look. Persona 5 präsentiert sich hierfür als eine gelungene Mischung aus modernem Anime und dem minimalistischen Charme eines 60er Jahre Pop Art Cartoons – inklusive der charakteristischen POW-Boxen und hervorgehobenen Rasterpunkte.
Ansonsten treten sämtliche Charaktere aber auch als ausgearbeitete 3D-Modelle in Erscheinung, die mit vielen Details und überraschend flüssigen Animationen glänzen. Apropos glänzen. Selbstverständlich muss sich auch die Umgebung in Persona 5 nicht verstecken. Erneut laden die originalgetreuen Nachbauten vieler Tokioter Stadtteile zum freien Erkunden zu jeder Tages- und Nachtzeit ein. Sogar die sonst eher schnöden Dungeons entwickeln mit ihrem eigenwillig-bizarren Design eine ganz eigenständige Anziehungskraft, der wir uns nur zu gerne hingeben.
Neben verwöhnten Augen, die sich über eine komplett fehlerfreie Technik (!) freuen, bekommen auch unsere Ohren das passende Programm. In ruhigen Momenten erklingen stimmige Jazz-Ambient-Stücke aus den Lautsprechern, während die Kämpfe gerne dramatische, eher rockige Themes bereithalten.
Dazu gesellt sich eine gelungene, englische Sprachausgabe, die per mittlerweile nachgereichtem DLC durch eine japanische Tonspur ausgetauscht werden darf. Der englischen Sprache solltet ihr aber ohnehin mächtig sein, denn wie für Releases des Publishers Atlus hierzulande üblich, vermissen wir auch in Persona 5 deutsche Bildschirmtexte.
Fazit und Wertung gibt es weiter unten!
Der Test basiert auf unserer Playstation 4-Version von Persona 5, die uns freundlicherweise von Publisher Deep Silver zur Verfügung gestellt wurde. Screenshots stammen diesmal vom offiziellen Atlus-Presseserver.
Persona 5 ist seit dem 4. April 2017 für die Playstation 4 und die Playstation 3 erhältlich. Während ihr für die Current Gen-Version derzeit noch den Vollpreis berappen müsst, schlägt das fast identische PS3-Pendant gute 30 Prozent günstiger zu Buche.
Fazit
Ist Persona 5 das perfekte J-RPG? Klare Antwort: Ja, momentan schon. Mit einem tiefgreifenden Kampfsystem, wahnsinnig sympathischen Charakteren und diesem riesigen, stets motivierenden Umfang, setzt der Titel die Messlatte verdammt hoch. Der optische Mix aus Superhelden-Cartoon und zeitgemäßem Anime entpuppt sich als wahrer Augenschmaus, der die spannende Geschichte passend untermalt.
Ich hätte nicht gedacht, dass sich noch so viel aus einem eher klassisch angehauchten RPG herausholen lässt, aber allein der Level-Up-Bildschirm nach jedem Kampf sprüht vor soviel Liebe zum Detail, dass ich mich daran nur schwer sattsehen kann.
Wer allgemein keine Abneigung gegen das doch leicht stereotype Japano-Flair hat, kommt an Persona 5 nicht vorbei.
Final Fantasy, go home – we took your heart!
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